Vom Schreibtisch-Informatiker zum Ingenieur
Herr Emmerich, Sie haben das Diplom-Studium in nur drei Jahren beendet. Wie kam es dazu?
„Gute Frage! Ich habe Angewandte Informatik mit der Vertiefung Medien ab dem Wintersemester 2002 an der TU Chemnitz studiert. Dort wurde ich aber nicht so richtig glücklich und wechselte nach drei Jahren zur FH Mittweida. Ich wollte weg von der theoretischen Universität und hinein in die Praxis – vom trockenen Schreibtisch-Informatiker zum Ingenieur. Im Nachhinein die beste Entscheidung. Ich empfehle für Interessenten in der freien Wirtschaft nicht unbedingt ein technisches Studium an einer Universität. Zusammen mit meinen drei Kommilitonen, denen es genauso erging, gründeten wir eine WG direkt am Marktplatz.“
„Wir konnten nur wenig aus dem Uni-Studium an die Fachhochschule übernehmen. Aber mit unserem technischen Vorwissen waren die ersten Semesterprüfungen kein Problem. Wir haben teilweise drei Semester gleichzeitig und im Zwei- oder Drei-Tages-Takt die Prüfungen absolviert. Wir waren zu viert: Zwei gehen zu Veranstaltung X und zwei zur gleichzeitigen Veranstaltung Y, auch immer im Wechsel und durchmischt, danach wird ausgetauscht. Eigentlich waren wir mit den ersten sieben Semestern bereits nach zwei Jahren fertig, das Diplom hat dann wegen Wohnort- und zwischenzeitlichem Themenwechsel etwas länger gedauert, knapp zehn Monate statt vier oder sechs.“
Lösungsorientiert in die freie Wirtschaft
Wie haben Sie den Wechsel vom Studium in den Beruf erlebt?
„Sehr flüssig, das heißt, ich bin direkt nach der Diplomarbeit bei derselben Firma übernommen worden. Es war keine große Umstellung, ein wenig mehr Aufmerksamkeit beim Chef-Angestellten-Verhältnis (nicht mehr Student und Professor) und schon ist man drin.“
Heute arbeiten Sie bei der vwd Vereinigte Wirtschaftsdienste AG. Wie sind Sie auf diese Firma aufmerksam geworden?
„Ich habe mich nach neuen Berufsfeldern umgesehen und bin bei einem Onlineportal fündig geworden. Die Firma selbst kannte ich vorab nicht, was auch daran liegt, dass die Branche der Finanzinformationsdienstleistung recht komplex und unter wenigen Anbietern aufgeteilt sowie nicht öffentlichkeitswirksam ist. Wir sind hauptsächlich im Business-to-Business-Bereich unterwegs.“
Was war die erste Überraschung in Ihrem Job?
„Die Lösungsorientierung in der freien Wirtschaft: Standards und langwierige Planungen sind zwar qualitativ wertvoll, aber Kundenwünsche, der permanente Zeitmangel und die Wirtschaftlichkeit machen die Lösung wichtiger als den Prozess. Nicht, dass man das nicht vorher schon ahnt. Aber wenn man von der Hochschulbank abrückt, erkennt man den realen Unterschied. Ich wurde schnell auf Reisen geschickt und habe mit neuen Kollegen viel gelernt über Kulturen und internationale Zusammenarbeit.“
Worauf es im Job wirklich ankommt
„Am wichtigsten sind m.E. die sogenannten Soft Skills. Das erworbene technische Wissen dient als Grundlage, um Probleme grundlegend zu verstehen und zu analysieren. Da sich aber die Technik heute im Quartalsrhythmus ändert, sind erlernte Programmiersprachen, Verteilernetze etc. meist schon wieder obsolet. Wichtiger ist ein grundlegendes Verständnis von Zusammenhängen und somit die richtige Einschätzung von zukünftigen Entwicklungen. Kommunikation und Überzeugungskraft sind ebenfalls wichtig und entwickeln sich ebenso weiter. Das Wichtigste, was ich aus der Uni- und Fachhochschulzeit mitgenommen habe, ist die Fähigkeit des eigenständigen Lernens. Dazu zähle ich auch Eigenschaften wie komplexes Denken und Organisationsfähigkeit. Es funktioniert meist nicht, alles selbst zum gewünschten Ergebnis zu bringen. Das richtige Team und dessen Motivation sind von wesentlich größerer Bedeutung, um Technologien und Menschen zusammenzubringen.“
Wenn Sie in dem Sinne jetzt noch einmal auf Ihr Studium zurückblicken: Gibt es etwas, das Sie anders machen oder worauf Sie besonders achten würden?
„Meine Schwächen sind die mangelhafte Ausbildung in den Wirtschaftswissenschaften. Oft stoße ich in Budgetplanungen, Prognosen und Quartalsberichten an meine Grenzen. Ich würde daher vor allem die BWL-Komponenten mehr berücksichtigen. Man sollte sich neben Technik unbedingt mit Arbeitsrecht, BWL/VWL und Bilanzierung, Unternehmertum und Kommunikation beschäftigen. Wenn man nicht nur im Labor und am Schreibtisch sitzen möchte, kommen diese Themen unweigerlich auf einen zu.“
Wem würden Sie einen Job in Ihrer Branche empfehlen?
„Rein von der Technik her keinem klassischen Informatiker – oft sind viele Produkte strengen gesetzlichen Regularien (Finanzrecht, Aufsichtsbehörden etc.) unterlegen und entwickeln sich in diesen Branchen nur langsam. Das heißt, moderne ‚coole‘ Software ist seltener gefragt, solide und bewährte Lösungen sind wichtiger, die Generation Apple und Flat Design sollte sich mehr in der Produkt- und Werbeindustrie umsehen.“
„Ein Thema ist Big Data – der Finanzmarkt wird immer mehr von unendlichen Milliarden Datenpunkten durchströmt. Smarte Lösung in Verbindung mit Serverfarmen und Datamining werden immer mehr gesucht. Hier findet der Daten- und Hardwarespezialist seine Spielwiese.“
„Wer sich allerdings für Wirtschaftsabläufe, Weltmärkte, globale Finanzsysteme und Politik interessiert, ist hier genau richtig. Man lernt, Produkte zu formen, Märkte zu beobachten, Zusammenhänge und Trends zu erkennen und unternehmerisch zu denken.“
Herr Emmerich, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.
Den Studiengang Multimediatechnik gibt es in dieser Form nicht mehr an der Hochschule Mittweida. Dafür könnt ihr Angewandte Informatik in den Studienrichtungen Softwareentwicklung, Wirtschaftsinformatik oder IT-Sicherheit studieren.