Scheidenblütgrases Coleanthus subtilis

Es gibt Pflanzen, die verhalten sich wie Diven, auch wenn ihre Erscheinung ganz und gar nicht diesem Bild entspricht. Sie sind wählerisch in ihren Ansprüchen, und dazu noch ‚wetterfühlig‘, so dass sie nur an ganz besonderen Orten wachsen können. Damit ist schon vorprogrammiert, dass sie von Natur aus selten sind und eines besonderen Schutzes bedürfen.

Die Pflanze, um die es hier geht, ist ein unscheinbares Süßgras, also ganz und gar keine Diva. Und dennoch eine spannende Art. Nun mag man sich fragen, was hat Botanik mit dem Fach Biotechnologie zu tun? Noch dazu, wenn es um Fragen wie die Verbreitung, die Verwandtschaftsbeziehungen oder das Fortpflanzungsverhalten geht? Klingt alles nach den schon etwas angestaubten Zeiten von Darwin oder Linné… Aber, bei der Frage nach der intraspezifischen Verwandtschaft, also der Ähnlichkeit der Individuen zum Beispiel zwischen Populationen, hätten die beiden mit ihren damaligen Möglichkeiten passen müssen. Ganz anders ist das heute in Zeiten der Genanalysen. Und damit kommt die Biotechnologie, genauer gesagt, die Molekularbiologie ins Spiel.

Genau diese Fragestellungen bearbeite ich in meinem Promotionsthema „Phylogeographische und ökologische Untersuchungen zur Verbreitung des Scheidenblütgrases (Coleanthus subtilis (Tratt.) Seidel)“. Damit bildet das Thema eine Verbindung von „klassischer Biologie“ und modernen Analysenverfahren, in denen nicht mehr bzw. nur über Blattbreite, Stängellänge, Anzahl der Pollen etc. der Verwandtschaftsgrad ermittelt wird, sondern die DNA-Muster der Individuen verglichen werden, also der sogenannte genetische Fingerabdruck. Um ehrlich zu sein, ich hätte mir als studierte Ökologin nie träumen lassen, einmal mit einem Sequencer zu arbeiten, also einer Maschine, mit der man DNA „lesen“ kann – natürlich nach entsprechender Vorbereitung.

Zielstellung des Themas ist es herauszufinden, wie die heutigen Populationen voneinander abstammen, um im Idealfall historische Ausbreitungswege rekonstruieren zu können. In Verbindung mit einigen ökologischen Fakten sollen aus den Erkenntnissen geeigneten Schutzmaßnahmen für die Art abgeleitet werden.

Am Anfang musste ich zunächst an die Pflanzen herankommen, um sie analysieren zu können. Das ist – könnte man meinen – viel einfacher, als bei den typischen anderen Lieblingsobjekten der Biotechnologie wie Bakterien, Pilze oder Viren. Die Schwierigkeit bestand aber darin, dass das Scheidenblütgras eine disjunkte Verbreitung hat, also nur punktuell auf der Nordhalbkugel vorkommt. So gibt es in Deutschland Standorte in der Lausitz und an den Bergwerksteichen in der Nähe von Freiberg – von dort kam auch der Anstoß für das Forschungsprojekt. Das ist ja quasi als Wochenendausflug zu machen. Die nächsten Vorkommen liegen in Böhmen, in den Teichgebieten um Budweis, in Frankreich in der Bretagne und in Polen in der Nähe von Breslau. Das war per Auto auch noch ganz gut zu erreichen. Die wichtigsten Vorkommen, weil vermutlich die ursprünglichen und natürlichen Standorte, liegen aber in Sibirien, genauer gesagt an den Flüssen Ob, Irtysch und Amur. Also hieß es Rucksack packen und losfliegen. Leider ging es nicht ganz so einfach, da für Russland zahlreiche bürokratische Hürden zu überwinden und Genehmigungen einzuholen waren. Aber dank moralischer und vor allem finanzieller Unterstützung seitens der Hochschule, der TU Bergakademie Freiberg und des Umweltforschungszentrums in Halle hat es geklappt. Zusammen mit der Botanikerin Dr. Elke Richert aus Freiberg bin ich im August 2011 nach Novosibirsk geflogen und dann mit russischen Botanikern gemeinsam am Ob unterwegs gewesen. Ein großes Abenteuer – grandiose Landschaften im Kontrast zu endlosen Erdöl- und Erdgasfördergebieten und Raffinerien. Und jede Menge ‚meines‘ Grases.

Inzwischen sind die vielen hundert Pflanzenproben aus aller Welt aufgearbeitet und analysiert. Wie so eine DNA-Analyse funktioniert, berichte ich euch beim nächsten Mal. Es liegen nun Unmengen an Rohdaten zur Auswertung vor. Hier kommt übrigens das nächste Fach ins Spiel: die Bioinformatik. Was wird die Auswertung nun ergeben? Unterscheiden sich die Populationen von Russland und Mitteleuropa genetisch? Stammt das Vorkommen in Frankreich etwa von Pflanzen aus Freiberg ab? Es bleibt spannend… Fortsetzung folgt.